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Ich schäme mich so für die Stadt Halle

Ich schäme mich so für die Stadt Halle

[von Herbert Steinhaus]

Offener Brief an den Bürgermeister

Betreff: Bericht bei DuBistHalle vom 15. Juni 2022: Auftritte von Daniele Ganser und Uwe Steimle in Halle:
Bürgermeister schreibt an Kultur- und Konzertveranstalter, "Feinden und Gefährdern unserer Demokratie kein Podium zu bieten"

Sehr geehrter Herr Geier,

bei Herrn Seppelt lese ich Merkwürdiges, ja Befremdliches.

Als Bürgermeister und in Ihrer Funktion als Vertreter der Stadt Halle (Saale) und ihrer Bürger sollen Sie an Kultur- und Konzertveranstalter "mit Blick auf die höchst umstrittenen Auftritte des Kabarettisten Uwe Steimle im Steintor-Varieté und des Publizisten Daniele Ganser in der Händel-Halle in Halle (Saale)" gebeten haben, "Feinden und Gefährdern unserer Demokratie kein Podium zu bieten". Bei den Kultur- und Konzertveranstaltern der Stadt hätten Sie "ein Höchstmaß an Sensibilität und Verantwortungsbewusstsein angemahnt":

"Dass Personen in unserer Stadt auftreten können, die Verschwörungsideologien sowie antisemitische und demokratieverachtende Positionen verbreiten, enttabuisieren und mehrheitsfähiger machen, erfüllt mich mit Sorge" … "Als Kultur- und Bildungsmetropole Sachsen-Anhalts ist Halle (Saale) eine tolerante und weltoffene Stadt. Die angesprochenen Veranstaltungen widersprechen diesem Geist und sind dem demokratischen Gemeinwohl abträglich. …"

Die Verbindung, welche Sie mit der „Militaria- und Waffenbörse“ herstellen, finde ich, mit Verlaub, höchst unqualifiziert und unpassend. Ist es doch diese Verbindung, die weder der Stadt Halle (Saale) noch Ihrem Amt "gut zu Gesicht" steht. Ist es nicht genau diese "Wahrheitsverzerrung", ist es nicht genau diese "Spaltung der Gesellschaft", welche Sie anprangern?

Wenn ich recht verstehe, hat Herr Seppelt das auch noch unter dem Schlagwort "Rechtsextremismus" abgelegt, was mir mit Blick auf die Herren Steimle und Ganser harter Tobak zu sein scheint.

Ich kann und mag mir nicht vorstellen, daß Sie dies tatsächlich als Vertreter der Menschen dieser wunderschönen Stadt Halle (Saale) geschrieben haben. Selbst wenn es nur Ihre persönliche und private Auffassung spiegeln mag, ist es nach meinem Dafürhalten keineswegs im Interesse der Hallenser, keinesfalls in meinem Interesse.

Es mag dahingestellt bleiben, ob Halle eine „Kultur- und Bildungsmetropole Sachsen-Anhalts". Mit den wohl von Ihnen gewählten Attributen "tolerante und weltoffene Stadt" bringe jedenfalls ich die in Ihren Mund gelegten Anfeindungen gegen die beiden Herren nicht zusammen. Das wäre doch ein offener Widerspruch in sich. Wenn Sie das tatsächlich meinen sollten, dann bleiben Sie dem Bericht nach jedenfalls die Beweise schuldig.

Weder Herrn Steimle noch Herrn Ganser kenne ich persönlich. Doch sind beide anerkannte und geachtete Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik, der Schweiz und wohl der ganzen Welt. Weder der eine noch der andere ist entmündigt oder Feind oder Gefährder unserer Demokratie, jedenfalls nicht in meinem Verständnis von Demokratie. Sie sagen einfach nur ihre Meinung, Herr Steimle als Kabarettist, Herr Ganser als international angesehener und respektierter Historiker, beide als Menschen wie Sie und ich. Herr Ganser hat Fakten erarbeitet, beispielsweise zu Kriegen, deren Urheber und Ursachen. Wenn Sie das als Verschwörungstheorien abtun, offenbart das nur Ihre Defizite hinsichtlich der Fakten, des Wissens und der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Eigenes Wissen, eigene Fakten haben Sie dem offenkundig nicht entgegenzusetzen.

Wenn es so stimmen sollte, wie Herr Seppelt das kolportiert, hätte ich Bedenken, ob das nicht eher strafrechtlich relevant im Sinne einer Volksverhetzung sein könnte. Und das würde doch keinen guten Eindruck auf die weltoffene Kultur- und Bildungsmetropole machen.

Da ich mir unbedingt eine eigene Meinung bilden und nicht pauschal urteilen mag, schon gar nicht nach einem Bericht vom Hören-Sagen oder gar nur Lesen bei Seppelt, legen Sie mir doch Ihr in Bezug genommenes Schreiben an die Veranstalter vor. Da Sie es als Bürgermeister geschrieben haben sollen, ist diese Transparenz im öffentlichen Interesse.

Wenn Sie nicht derjenige sein mögen, der die Menschen der Stadt spaltet, gegeneinander aufbringt, dann möchte ich Sie doch bitten, den Menschen der Stadt Halle (Saale) das Höchstmaß an Sensibilität und Verantwortungsbewußtsein vorzuleben, von dem Sie wohl sprechen.

Als Vertreter des Oberbürgermeisters tragen Sie für die Stadt Halle (Saale) und alle Menschen in dieser Stadt eine herausragende Verantwortung. Dieser kommt das von Herrn Seppelt teilzitierte Schreiben nicht nach. Im Gegenteil könnten sich Feinde und Gefährder unserer Demokratie, Randalierer und Störer geradezu angestachelt fühlen, die beiden Veranstaltungen aggressiv zu stören, Menschen der Stadt, welche nichts anderes wollen, als sich Herrn Steimle und Herrn Ganser anzuhören, sich eine eigene Meinung zu bilden, direkt und persönlich zu attackieren, deren Fahrzeuge oder öffentliches Eigentum zu beschädigen, Polizeibeamte zu beleidigen oder direkt anzugreifen.

Vergessen Sie bitte nicht den bereits stattgefundenen Farbanschlag auf das Steintor. Sind derartige Angriffe nicht bereits durch das unüberlegte, wohl auch unprofessionelle Agieren bzw. Unterlassen der Behörden auch der Stadt Halle (Saale) mitzuverantworten? Was wenden Sie ein, wenn ein Steinwerfer bei Gericht angeklagt, einwendet, er habe sich doch im Recht und berufen gesehen, die Gefährder der Demokratie in Schranken zu verweisen. So habe er Ihre von Herrn Seppelt zitierte Rede schließlich verstehen müssen. Würde er wegen fehlenden Unrechtsbewußtseins freigesprochen? Würden Sie als Anstifter angeklagt?

Ich glaube kaum, daß dies Ihr Interesse ist und nicht gerade Sie als Ideengeber und Anstifter dastehen möchten. Gerade dann, wenn Sie eine andere persönliche Auffassung vertreten sollten, sollten Sie als Bürgermeister einer wirklich toleranten, weltoffenen Stadt dafür sorgen, daß andere Meinungen unbehelligt gesagt und gehört werden können. Dazu gehört ein wenig Mut, den Menschen Demokratie, Meinungsfreiheit und Toleranz zu erläutern. Herr Steimle wie Herr Ganser werden Ihnen dazu bestimmt und gerne ein Rederecht gewähren. Genau dazu sind Sie als Stadtoberhaupt berufen.

Es ist weder Ihre Aufgabe noch Ihre Befugnis, das Denken der Menschen der Stadt Halle zu betreuen oder gar zu bevormunden. Im Gegenteil ist es Ihre besondere Aufgabe, das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung für alle zu sichern.

Im Lüth-Urteil vom 15. Januar 1958 heißt es: »Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt [...] Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist [...] Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt.«

Gerne höre oder lese ich von Ihnen.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Steinhaus

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